Autoschrauben ist für mich (und wahrscheinlich viele andere auch) Fluch und Segen zugleich: Sofern alles klappt hat man Spaß und Freude am Erhalt von High-Milern aus dem Dinosauerierzeitalter. Wenn es nicht klappt und eine Katastrophe auf die nächste folgt, möchte man das Wrack am liebsten mit dem Schneidbrenner zu Kleinholz verarbeiten.
Spätestens nachdem ein paar Tonnen an Bremsscheiben durch die eigenen Hände gewandert sind, man den Geruch von Altöl, Bremsenreiniger und Flexstaub tief verinnerlicht hat, ist es ohnehin um einen geschehen, und man erfreut sich an altem Eisen mehr als am nächsten Smartphone oder dem Drölf-K-Fernseher.
Daher begann ich vor zwei Jahren, meinen Schraubereien ein eigenes Denkmal zu setzen: Ein „Funktionsmodell“ eines Verbrennungsmotors als meditatives Zentrum im eigenen Wohnzimmer. Wie andere Leute eben einen Steingarten haben, beruhigt mich das gleichmäßige Auf- und Ab der Kolben und der stahlgewordene Ausdruck einer Wärme-Kraft-Maschine.
Die ersten Planungen von 2017…
Ausgangsmaterial
Aus Stahlprofil war ein entsprechender Rahmen schnell zusammengeschweißt: 30x30x3 für die Beine, Winkel 30x30x3 für die Seiten und 20x20x2 für die Streben – wer es nachbauen will, nimmt aus Gründen des Platzes besser 40x40x2 für die Beine!
Den Kurbeltrieb hatte ich aus einem meiner Schlachtwagen übrig: OM604, zweikommazweiliter-Vorkammer-Saugdiesel mit elektrisch verstellbarer Verteilereinspritzpumpe. Was ein Schrotthaufen. Sagenhafte 95 PS und 150 NM schöpft der Diesel aus 2,2 Litern Hubraum (Vergleichbarer Benziner: M111 1,8 Liter, 122 PS, 170NM) .
Immerhin: Kurbeltrieb und Kolben waren seinerzeit noch derart großzügig ausgelegt, dass die Motoren bis heute als nahezu unzerstörbar gelten – nach 275.000 Kilometern waren Kolben und Kurbelwelle hier tatsächlich noch in traumhaften Zustand.
Damit sich die Kurbelwelle im Tischgestell sauber und leichter drehen lassen würden, gab es zwei INA-Nadelhülsen – die man im Gegensatz zu Kugellagern auch einfach aufschieben kann, auch wenn sie nicht ganz so reibungsarm laufen. Auf Gleitlager hatte ich keine Lust, mehr Reibung.
Die Gehäuse der Lager sind aus Aluminiumplatten gefertigt und auf der Drehbank ausgedreht worden.
Um die Optik der Kolben und Kurbelwelle zu erhalten, wurden diese Teile mit Klarlack lackiert. Vorher stramm entfettet, sollte diese Lackierung eine ganze Weile die hübsche Optik erhalten. Funfakt: Die Rußspuren auf den Kolben wurden von den unzähligen Einspritzungen derart in die Kolben eingebrannt, dass sich diese ohne starke mechanische Einwirkung nicht mehr entfernen lassen.
Steuerkette & Drehstrommotor
Anstelle der Duplex-Steuerkette, mit der der Motor noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag störungsfrei gelaufen wäre, entschied ich mich für den Antrieb der Kurbelwelle für eine Fahrradkette. Vorteile: Leicht, unendlich billig, Kettenräder in allen Größen zu haben, gliedweise zu kürzen.
Auch wenn es stilecht gewesen wäre: auf einen brüllenden Zweitakt-Motor als Antrieb des Monumentes hatte ich keine Lust, es sollte also ein E-Motor werden. Zunächst dachte ich einen kleinen Getriebemotor, musste aber ziemlich schnell feststellen, dass sich der Kurbeltrieb mit 10NM nun einmal so gar nicht durchdrehen ließ, geschweige denn anlaufen würde. Nach einer Suche in den Kleinanzeigen wurde ich mit einem Dunkermotor fündig – ein waschechter Drehströmer mit dreistufigem Planetengetriebe.
Ein 400V Motor mit CEE Steckdose war genau dass, was mir als Antrieb so vorschwebte! Praktischerweise hatte ich noch einen Anlasser aus der Schrottkiste geangelt, auf der Bandsäge einen Kopf kürzer gemacht und in der Strahlkabine und mit ein bisschen neuen Lack wieder auf Vordermann gebracht – beziehungsweise dessen Hülle. Denn den eigentlichen 12V Kurzschlussläufer würde ich durch den Drehströmer ersetzen.
Nach ein bisschen Bastelei, ein paar vergurkten Kilowattstunden an der Drehbank später und viel Probieren passte der Asynchronmotor in den Anlasser und wirkte nun wie gemacht dafür.
Eine passende Mitnahme für ein großes Kettenblatt war schnell gedreht und eine Passfedernut gestoßen, an der Kurbelwelle wurde das kleine Ritzel entgegen allen Schweißer-Regeln zum Trotz direkt mit dem Guss verschweißt – hält für seinen Zweck aber trotzdem 😉
Es werde Licht
Damit der Koloss auch bei später Stunde noch auf sich aufmerksam machen kann, stand schnell fest, dass er eine zeitgemäße LED-Beleuchtung kriegen würde. Aus der Idee einer Super-Sonder-Custom-Spezial-Beleuchtung wurde dann im Sinne eines Projektabschluss noch zu meinen Lebzeiten ein (der) billiger (billigste) RGB-LED-Stripe, wie man in so kennt. Auf die Unterseite vom Winkelstahl geklebt, macht er dennoch eine gute Figur.
Den Infrarotempfänger der Fernbedienung habe ich in einem Abschlussstopfen versteckt, der die Glasplatte trägt – fällt kaum auf und funktioniert dank der Glasplatte dennoch aus recht vielen Winkeln – genau zielen muss man nicht.
Unsichtbare Stromversorgung
Damit der Kurbeltrieb sich drehen und der LED-Stripe leuchten kann, bedurfte es natürlich einer entsprechenden Verkabelung. Der Motor dreht sich dank Kondensator auch an 230V, daher konnte auf eine CEE Steckdose verzichtet werden – dürfte mir die ein oder andere Nachfrage erspart haben, außerdem sind solche Verlängerungskabel immer recht preisintensiv…
Um den Kleeblattstecker (wie ich lernen durfte!) gut zu verstecken, habe ich im CAD eine passende Halterung für die Buchse entworfen, welche selbige im 30 Grad Winkel in einem der Beine verschwinden lässt. Hat gleich mehrere Vorteile: Baut schlanker und steht weniger ab als ein normaler Kaltgerätestecker. Zudem fungiert der Winkel nach unten auch als Sicherung, sollte jemand auf das Kabel treten oder den Tisch hochheben: Dann zieht es den Stecker raus und reißt nicht Buchse oder Kabel ab…
Um den RGB-Stripe mit Strom zu versorgen, brauchte ich noch ein Netzteil, welches sich im 30er Quadratrohr verstecken ließ. Sowas ist gar nicht mal so einfach zu finden gewesen, hätte ich da bloß mal früher nachgeschaut. Fündig geworden bin ich bei uniled.at, die ein super schmales Netzteil verkaufen – möge es lange halten.
Zu guter Letzt wurden alle Kabel durch die Profile gezogen und nur mit möglichst wenigen Bohrungen auf der Unterseite die Profile verbunden, bei denen ich vor dem Schweißen vor zwei Jahren die Durchbrüche vergessen hatte (quasi alle).
Die gute Patina!
Eigentlich wollte ich das Stahlgestellt „roh“ lassen, sprich die Walzhaut drauf und nachher nur die schlimmsten Stellen mit der Flex einebnen und anschließend alles mit Klarlack versiegeln. Leider kamen zwei Jahre Wartezeit und ein offenes Dach dazwischen, sodass das Gestell stramm angerostet ist. Manche würden jetzt sagen „Ach, was eine tolle Patina“ – für mich ist Rost hingegen einfach nur eine Krankheit, deren Ausrottung ich mich verschrieben haben.
Also die Flex gezückt, „Grobreinigungsvliesscheibe“ aka Negerkeks drauf und ab die Post. Anschließend noch entfettet, das gesamte Gestell mit Grundierung und schwarzem Lack aus dem Hause DupliColor eingejaucht – sollte für den Hausgebrauch an Rostschutz reichen.
Was lange währt, wird endlich gut!
Nach stabilen 2 Jahren und 4 Monaten Bauzeit hat das Projekt seinen Abschluss gefunden. Mit leicht reduziertem Featureset, aber immerhin fertig geworden. Und es ist in meinen Augen echt klasse geworden (ja, Eigenlob stinkt, ich weiß).
Löckener Winfried meint
Hallo Simon,
ich bewundere deine Kreativität! Du bist ja in allen Bereichen breit aufgestellt. Ein tolles Anschauungsobjekt. Würde ich gerne mal in einem kleinen Film sehen. Ansonsten freue ich mich auf deine Projekte.
Gruß Winfried
Simon Bäumer meint
Hallo Winfried, findest du hier im Video ganz am Ende 🙂
https://www.youtube.com/watch?v=hdaJCSpYreA
Michel Bahr meint
Moin!
„Also die Flex gezückt, „Grobreinigungsvliesscheibe“ aka Negerkeks drauf und ab die Post.“ sollte im Jahre 2020 keine sprachliche Normalität mehr sein, oder? Höre/lese ich zum ersten Mal. Gut, ich bin kein Schlosser, aber na ja…
Trotzdem tolles Projekt, tolle Arbeit, tolles Ergebnis.
Kenne und mag Deinen yt-Kanal und schaue dort zuletzt recht häufig, um meine Wissenslücken in Elektronik zu füllen.
Bleib cool, bleib sauber, bleib gesund!
Simon Bäumer meint
Hi Michel,
die Scheiben wurden mehr als vier Jahrzente lang genau so verkauft – schwarze Scheibe mit gelbem Aufdruck. „also known as“ sagt ja schon aus dass man die Scheibe nicht so nennen muss, aber sie unter dem Namen eben nun mal sehr bekannt ist. Genau wie der „Wichser“ im Werkstattjargon noch verbreitet ist – ist bei den aktuellen Sprachdebatten wohl auch nicht mehr in Ordnung 😉 Ich schreibe hier aber nach Lust und Laune und in (Werkstatt-)Umgangssprache wie ich sie kennengelernt habe…
Danke, hört man gerne – ich hoffe ich komme im nächsten Jahr auch wieder zu ein paar mehr Projekten, aber irgendwas ist ja immer.
Danke, dir auch und einen guten Rutsch,
Simon