Weil #Coronistan die Versorgungslage ja in allen Bereichen schwierig bis unmöglich macht, war ich einmal mehr zum Improvisieren gezwungen.
Um bei dem endlich wieder brauchbaren Wetter die Sonne ein bisschen zu genießen, brauchte es für die Freundin spontan einen Drahtesel – eigentlich sollte es ein neues Rad geben, weshalb es das Alte schon nicht mehr gab – und dann kam der Winter und damit der Dauer-Lockdown.
Kurz rumgefragt, bot ein guter Kumpel mir ein „Zweitrad“ an. „Die Reifen sind gut. Nur pumpen. Rücktritt dran und glücklich sein“ – klang nach einem verlockenden Angebot. Da ich besagten Kollegen aber schon bald ein Jahrzehnt kenne, weiß ich auch um die Diskrepanzen zwischen seinen und meinen Einschätzungen von technischen/mechanischen Dingen. Die „halbe Stunde Schrauben“ verbuchte ich daher schon innerlich als abendfüllendes Programm und sollte mit meiner Einschätzung deutlich näher an der Realität liegen. Aber zurück zum No-Budbet-Bike, oder wie es eigentlich heißt: „Radian Sport„.
Der erste Eindruck
Nun, dem Rad war in den letzten Jahren relativ wenig Pflege zuteil geworden: Es hatte ein Jahr komplett im Freien verbracht, davor fünf Jahre hartes Leben als Bahnhofs-Bike und zwei Städte hinter sich. So sah es auch aus.
Die Drehmomentstütze des Rücktritts war nicht angeschraubt, der Gangwahlhebel der Gangschaltung abgebrochen, die Vorderradbremse hatte keinen Zug und keinen Mantel mehr, die Räder waren entgegen der Laufrichtung aufgezogen, der Sattel hatte ein Loch und der Korb war reudig rostig. Dass die Kette eher braun als schwarz war und sich Moos auf den Handgriffen anfing breit zu machen, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Also auf zur Probefahrt!
Schon auf den ersten Metern wurde mir klar, dass neben vielen Klappergeräuschen noch etwas ganz übles mit dem Rad im Argen sein musste: Das Tretlager hatte gehörig Spiel – was selten ein gutes Zeichen ist.
Immerhin die Reifen hielten wie versprochen die Luft und bei einem Kaffee im Freien schraubt es sich ja ohnehin ganz gut, also ran ans Werk.
Nun die Baustelle der Reihe nach:
1. Räder und Ventile
Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Reifen, die entgegen ihrer Laufrichtung aufgezogen sind. Gefühlt kostet ein falschherum montierter Reifen 50% Höchstgeschwindigkeit, real spritzt das Regenwasser etwas höher. Immerhin, mit Schlauchgreifern eine Sache von wenigen Minuten.
Was mich aber jedes Mal zur Weißglüht bringt, sind Fahrrad- und Sclaverandventile. Wie heißt es so schön: „Gott schütze uns vor Sturm und Wind, und Ventilen die aus Frankreich sind“ – oder so ähnlich. Ist aber eine andere Geschichte – jedenfalls habe ich die Chance genutzt, auch die Schläuche gleich gegen solche mit Autoventilen auszutauschen.
2. Bremsen
Die fehlende Schraube der Rücktrittbremse war schnell montiert, dem Rücktritt selber fehlte nichts, also vorne weiter. In meiner Altteilekiste fand ich einen passenden Bowdenzug samt Mantel, sowie ein paar noch halbwegs anständige V-Brake-Bremsklötze. Die komischen viereckigen Cantilever-Bremsklötze gehören einfach verboten, gemeinsam mit den Cantileverbremsen insgesamt. (ja, hier eher Renn- als Cantibremse).
Nach der Montage funktionierte die Bremse zumindest wieder ausreichend, der Wirkhebel dieser Rennradbremse ist einfach unfassbar schlecht, weshalb keine gigantische Verzögerung drin war. Aber so war es alle male besser als der wirkungsloser Hebel vorher.
3. Der Rahmen
Ich weiß nicht wie es sich zugetragen hat, aber irgendwer hat es geschafft, die Verbindung zwischen den beiden Oberrohren zum Reißen zu bringen. Das Teil war auf beiden Seiten sauber abgerissen, der Rost hatte sein Übriges getan. Da der butterweiche Damenrahmen im 1980er-Jahre-Design ohnehin kein Wunderwerk in Sachen Torsionssteifigkeit war, definitiv etwas, was nach Behandlung schrie.
Also ab auf die Werkbank damit und das Schweißgerät angeworfen. Praktischerweise war der Rahmen aus Stahl, so wurde das Blechteil innerhalb weniger Sekunden mit dem nötigen Dilettantismus festgebruzelt. Ein anschließender Test bestätigte die Haltbarkeit, der abgebrannte Lack auf Ober-und Unterseite – nun ja, vielleicht lässt sich da noch ein farblich passender Nagellack auftreiben (bestimmt in der Farbe „Lavendelblüte“ statt “ Ral 4005, lila“).
4. Das Tretlager
Mein Gott was hab ich da geflucht. Die rostigen Stahlkurbeln abzuziehen war die eine Sache, dass Tretleger zu lösen die andere. Leider ein altes Lager, zu dem ich keinen passenden Schlüssel/Nuss hatte. Normalerweise löse ich Tretlager immer mit dem Schlagschrauber, wäre hier auch gut gewesen.
Ich hab schon einige Tretlager getauscht, auch ältere, aber einen schiefen Sechskant in SW25 habe ich noch nicht gesehen!
Weil passendes Werkzeug fehlte und es sich einfach nicht brauchbar gegenhalten ließ, blieb nur die Russenmethode: Tretlager im Schraubstock einspannen, WD40 dran kippen, Fahrrad um den Schraubstock drehen. Und selbst dafür brauchte es gewaltig Kraft.
Nachdem der Krieg gewonnen war, und die letzten Rostpartikel im Feingewinde kapituliert hatte, lies sich die linke Lagerschale unter mahlenden Geräuschen (und mit der WaPu-Zange) herausschrauben. Das Lager geöffnet und die Welle gezogen, blickte ich in das erwartete Grauen: ein völlig ramponiertes (Konus-)Tretlager:
Während die linke Seite nur voller Sand, Dreck und Rostbrühe war, hatte es den Lagerkäfig der rechten Seite komplett gesprengt – einige wenige Fragmente konnte ich noch finden. Kein Wunder also, dass die Kurbel Spiel ohne Ende hatte und sich schrecklich anfühlte.
Also die beiden Lager – oder besser gesagt deren Reste – aus dem Rahmen gepopelt und angefangen dort sauber zu machen. Dass es unter der Dreckschicht tendenziell nicht besser werden würde, war mir dabei wohl bewusst.
Wie erwartet hatte die Welle auf beiden Seiten ordentlich gefressen, und auch die Lagerschalen hatten die entsprechenden Kampfspuren davongetragen. Wie man sowas kaputt strampeln kann, ist mir ein Rätsel – es muss schon ordentliche Geräusche und Klemmer gegeben haben, als der Lagerring geborsten ist, und zwei Kugeln irgendwie ihren Weg nach draußen gefunden haben…
Nun, was soll’s, der Hobel musste schnell zurück auf die Straße. Die Lagerkäfige, die ich hatte, stammten aber leider schon aus diesem Jahrtausend, waren also zu klein. Also wurde kurzerhand beschlossen das Lager der rechten Seite als vollkugeliges Lager auszuführen – sprich den fehlenden Käfig mit ausreichend vielen Kugeln zu ersetzen.
Nachdem alle Teile sauber waren, wurden beide Konushälften mit reichlich Schmierfett zugemöllert und anschließend wieder montiert – bei solchen Aktionen heißt es dann nur noch: Beide Augen zudrücken und weiter.
Wieder zusammengesetzt, musste das Lager noch eingestellt werden. Ich entschied mich für einen akzeptablen Kompromiss aus rumpelnd aber noch nicht blockierend, zog die Kontermutter fest und setzte die Kurbeln wieder auf. Natürlich drehte sich die nackte Welle furchtbar, aber der Hebel des Pedals und die Kraft von zwei gesunden Beinen würden dies schon überwinden können.
5. Die Gangschaltung
Nachdem der Rahmen geschweißt und das Tretlager in Rallye-Manier fachmännisch zusammengeschustert war, ging es an die letzte große Baustelle: Die Gangschaltung.
Der Rennhobel ist mit einer Sachs-Pentasport-(5-Gang) Nabenschaltung ausgestattet. Ich meine, dass dürfte die letzte Schaltung von Sachs gewesen sein, bis sie in SRAM umfirmiert sind. Jedenfalls hatte der Wahlhebel das Leben am Bahnhof nicht gut überstanden und war beinahe bündig abgebrochen – also ideal, um da wieder einen neuen Hebel anzuflicken.
Nach der Demontage des Deckels war ich aber schon deutlich hoffnungsvoller: Im Inneren war noch reichlich Wandstärke und ein kleiner Hohlraum vorhanden, das rief beinahe schon nach 2k-Epoxydharz!
Nur woraus den Hebel machen? Alu und zu recht feilen? Puh, viel Arbeit. Nur Plastik? Hält nicht. Mensch, Stahl wäre doch was tolles 🙂
Kurzerhand eine M6er Schraube in die Bruchstelle eingelegt, passt perfekt. Ab auf die Bohrmaschine mit dem Kunststoffteil dessen Zusammensetzung nach glasfaserverstärkt aussah. 5mm Kernloch gebohrt, M6 Gewinde geschnitten, tippitoppi. Zurück an den Werktisch und den verbleibenden Hohlraum mit Epoxy ausgießen, zack feddisch!
Nach dem Aushärten zurück ans Bike – passt doch prima. Ein großer Schrumpfschlauch sollte dem Ganzen noch ein bisschen Farbe verleihen, sieht doch wieder halbwegs professionell aus, oder?
Nun ging es ans Einstellen der Nabe, dafür muss der Wahlhebel im vierten Gang stehen, die Züge müssen straff sein, aber die Schaltkettchen sich noch nicht bewegt haben.
Die Nabe hier ist noch die alte Version mit zwei Zügen: Der Zug auf der linken Seite schaltet nur den ersten und den fünften Gang, die mittleren Gänge: zwei, drei und vier werden vom rechten Zug gesteuert. Nach ein bisschen Gefummel mit der richtigen Zugspannung waren alle fünf Gänge schaltbar, wenn auch der linke Zug (und sich damit die Gänge 1&5) nur widerwillig einlegen ließen – das wollte ich aber nicht auch noch ergründen, Hauptsache funktioniert.
6. Dies und das
Neben den großen Katastrophen gab es auch kleine Dinge zu beheben, wie eine festgerostete Klingel, ein Loch im Sattel und schleifende Schutzbleche. Auch die Schraube der Sattelstütze wurde getauscht – keine Ahnung wie der winzige Nupsi (erstes Bild) der Kraft einer M8er etwas entgegensetzen soll – erwanderte nach dem Foto direkt in die Tonne und wurde durch eine Sechskantschraube ersetzt.
Mit reichlich WD40 und Schmieröl waren alle beweglichen Teile wieder auf Vordermann gebracht und die Klingel so gut geschmiert, dass sie bei jeder Bodenwelle bimmelte – fast schon ein bisschen nervig.
Das Loch im Sattel bekam einen provisorischen Flicken von der Tesa-Gewebeklebebandrolle, das Schutzblech (welches sich nicht schleif- oder klapperfrei einstellen ließ) vier Löcher, mit denen es kurzerhand mit Kabelbinder an den Gepäckträger gezurrt wurde – manche Dinge brauchen einfach pragmatische Lösungen, man kann nicht aus jedem Furz eine Wissenschaft machen. So wurde auch das klapperende Rücklicht mit einem Streifen Isoband entklappert.
Klar zur Alpenüberquerung
Satte fünfeinhalb Stunden hatte es mich gekostet, das Bahnhofs-Wrack wieder in einen den Umständen entsprechend guten Zustand zurückzuversetzen. Nach ein paar hundert Metern Testfahrt, die das No-Budget-Bike beinahe geräuschlos hinter sich gebracht hatte, konnte das Projekt als fertig erklärt werden.
Zeigte mir einmal mehr, wie wichtig Einstell- und Wartungsarbeiten sind. Mit vollgepumpten Reifen und in frisch abgeschmiert & eingestellt läuft selbst so eine Möhre echt wieder geschmeidig.
Die große Bewährungsprobe sollte eine Radtour am Wochenende bei herrlichem Wetter werden – die 30 Kilometer am Rhein auf- und ab absolvierte das No-Budget-Bike wie erwartet tadellos, das defekte Tretlager wurde nicht einmal bemerkt – dafür war die Klingel auf den teils schlechten Wegen schon ein bisschen sehr nervig.
Was lernt man aus so einem Projekt? Ersatzteile vorzuhalten ist wichtig, Dinge richtig einstellen und warten zu können noch wichtiger. Und dass die Flasche WD40 immer mit dazu gehört, wenn es ums Gangbarmachen von altem Eisen geht.
In diesem Sinne euch einen schönen Saisonauftakt und frohes Radeln!
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